Warum sich die „Kultur des Scheiterns“ nicht durchsetzen kann

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Foto: Dagny Mol
„Kaputt machen ist geiler, als aufzubauen“, so ein Fazit der FuckUp Night, die letzte Woche in Berlin stattfand. Wann immer ich dergleichen lese, komme ich nicht umhin, an mein Studium der interkulturellen Wirtschaftskommunikation zurück zu denken und „Bullshit!“ zu denken.

Man sehnt sich danach, endlich auch in Deutschland öffentlich über sein Scheitern sprechen zu dürfen. Das ist an sich eine tolle und notwendige Sache, um den Innovationsprozess zu beschleunigen, neuartige Geschäftsmodelle entwickeln und testen zu können. Doch – es bleibt die Grundfrage – warum ist es dann so schwer, die Vorteile des Scheiterns begreiflich zu machen? Warum wurzelt dieser Gedanke bei uns nicht?

In der Diskussion um die so oft beschworene Kultur des Scheiterns gibt ein Grundproblem. Scheitern und neu aufbauen ist in unseren Breiten (leider) nicht einfach nur verpönt. Dementsprechend wenig erreicht man damit, indem man es jetzt einfach mal gut findet.

Vielmehr ist Scheitern in unserer (Arbeits-)Kultur von Grund auf nicht als gangbarer Weg zum Erfolg verankert. Etwas in den Sand zu setzen und dies als Weg zu Größerem und Besserem zu begreifen, ist in anderen Kulturen, insbesondere der amerikanischen, wesentlich verbreiteter. Unsere Denktradition ist jedoch eine ganz andere.

Deutsche planen, Amerikaner probieren aus

Wer Teams in anderen Kulturen erlebt hat, wird sich seiner deutschen Herkunft häufig erstmals so richtig bewusst. In den USA zählt Scheitern quasi zur normalen Konsequenz des „Learning by Doing“. Das muss nicht einmal auf ein ganzes Unternehmen bezogen sein, sondern macht sich schon im Alltag bemerkbar. Es wird lockerer gesehen, wenn sich beispielsweise mitten im Projekt neu entschieden oder Teams neu zusammengestellt, Prozesse verbessert oder ganz umgeschmissen werden. Kein Beinbruch.

In der deutschen Arbeitskultur nimmt die Konzeptionsphase deutlich mehr Raum ein, bevor es wirklich losgeht. Und danach soll sich bitte schön auch an den Projektplan gehalten werden, schließlich wurde viel Zeit darin investiert, ihn auszuarbeiten. In der Zeit scharrt der US-amerikanische Kollege längst mit den Hufen und will „hands-on“ loslegen. Wenn man merkt, dass es nicht weitergeht, wird der Plan „on the fly“ angepasst.

John Wayne vs. Dr. Faust

Die amerikanischen Pilgerväter und Siedler, die sich das Land urbar machten, haben keinen theoretischen Überbau benötigt, um damit anzufangen. Hier ging es darum, handfeste Ergebnisse zu erzielen und das möglichst schnell. Was funktioniert, funktioniert. Dieser Pragmatismus hat sich bis heute in der Arbeitskultur bewahrt.

Die Deutsche Denk-Tradition sieht diametral anders aus. Zur Veranschaulichung muss man nur an Faust denken, der im stillen Kämmerlein ganze Gedankenkathedralen errichtet, ohne zu handeln.

Schön scheitern? Bleibt unwahrscheinlich, liefert aber Denkanstöße

Diese bewusst überspitzten Beispiele sollen keineswegs als Rechtfertigung dienen und sind natürlich stark verallgemeinernd. Aber sie veranschaulichen, wo wir jeweils herkommen, was wir jeweils als normal betrachten. Beide Herangehensweisen – der amerikanische Pragmatismus, die deutsche Liebe zum Detail – sind in der jeweiligen Kultur tief verwurzelt und auf ihre Art wertvoll. Deswegen ist es so schwer, ein Umdenken anzuregen.

Hierzulande geht nichts über eine gute Planung am Reißbrett. Scheitern in Deutschland heißt deshalb, nicht gut genug zu sein, sich nicht ausreichend vorbereitet und schlecht geplant zu haben oder sich nicht helfen zu lassen. Daher wird es wahrscheinlich auch in Zukunft schwierig bleiben, das Scheitern als positiv und als kleinen Kieselstein im Schuh auf dem Weg zum Erfolg zu verkaufen.

Agile Ansätze als Mittelweg

Man kann nicht eine Kultur plötzlich der anderen überstülpen. Eine wirkliche Kultur des Scheiterns wird es hierzulande vermutlich nie in Reinform geben, aber es lohnt sich, Elemente und Denkweisen des „Learning by Doing“ zu integrieren. Wichtig ist dabei das Wörtchen integrieren, statt übernehmen.

Wirkliche Weiterentwicklung kann nur einsetzen, wenn man sich dieser grundlegenden Unterschiede bewusst ist, um sie dann zu hinterfragen. Denn natürlich ist die ergebnisorientiertere, pragmatische, typisch amerikanische Herangehensweise die ideale Ergänzung zur deutschen Planungs- und (Über-)Regulierungsliebe, die ihre entsprechende Zeit braucht. Prozesse können auf Tempo gebracht und Projekte schneller umgesetzt werden.

Längst haben agile Ansätze ihren Eingang in die deutsche Arbeitskultur gefunden, nicht nur in der Softwareentwicklung. Nicht nur in Handelsunternehmen sind interne Startups und Pilotprojekte mit viel Spielraum keine Seltenheit mehr.

Dies ist vermutlich der effektivere Weg, als sich auf eine Bühne zu stellen und vom Scheitern zu schwärmen.

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Eine Reaktion zu “Warum sich die „Kultur des Scheiterns“ nicht durchsetzen kann”

  1. Etwas irritierend ist, die Aussage „vom Scheitern zu schwärmen“. Die FuckUp Nights Berlin sind nicht dazu da, Scheitern als „besonderes Highlight im Leben“ hervorzuheben. Vielmehr wird versucht durch einen unterhaltsamen Rahmen Inhalte, Learnings oder auch nur Ansätze von Erkenntnissen zu vermitteln.
    Klar, man kann dies auch in einer steifen Business-Analyse machen. Aber wer hört dann zu?

    Und nur weil es unterhaltsam – gutes Storytelling – ist, bedeutet dies nicht, dass es den Sprechern eine wahre Freude wäre emotionale Tiefen und im Nachhinein offensichtliche Fehler vor einem größeren Publikum auszubreiten.

    Keiner „schwärmt“ hier von seinen Depressionen, Schulden, familiären Desastser oder öffentlichen Häme, aber wird auch keine Selbstkasteiung gefordert. Die Rednerinnen haben etwas gewagt, versucht Visionen zu verwirklichen und sind damit gescheitert. Exakt dafür verdienen sie auch Respekt, in diesem Fall vom Publikum.

    Wir laden genre dazu ein, dieses Form der „Aufklärung“ live zu erleben und dann vieleicht auch etwas differenzierter zu beurteilen.

    Save the Date: 26.03.2015, FuckUp Nights Berlin
    https://www.facebook.com/TheFUNBerlin