»FemTech« auf dem Vormarsch – Digitalisierung kennt keinen Sexismus?!

klischee durchgestrichen, bleistift
Quelle: dotSource

In Naturwissenschaft und Technik hat sich durch die Digitalisierung in den letzten zwanzig Jahren unglaublich viel getan. Innovationen und neue Technologien haben nicht nur neue Berufe entstehen lassen, sondern die Arbeitswelt verändert sich auch in anderer Hinsicht: MINT-Berufe sind nicht länger nur Männerberufe. Es gibt immer mehr Ingenieurinnen und Softwareentwicklerinnen. Das zeigt zum einen, dass Berufsbilder nicht auf ewig einem bestimmten Geschlecht zugeordnet sind und, dass die digitale Transformation diesen erfreulichen Wandel mit antreibt. Zum anderen treiben Frauen in MINT-Berufen aber auch ihre eigenen Themen und Innovationen voran. Der Begriff, über den alle sprechen, heißt: »FemTech«.

Fem Was?

Doch was ist FemTech genau?

IM DACH-Raum hat der Begriff FemTech zwei Interpretationen. Als »FEMtech« steht er in Österreich auch für die Initiative des dortigen Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT), die für mehr Chancengleichheit in industrieller und außeruniversitärer Forschung und Technologie sorgen soll. Zugleich aber beschreibt FemTech eine »digitale Revolution«, die via technologischer Diagnostik wichtige Beiträge zur Frauengesundheit leistet.

Vorbild Österreich, Mission: FEMtech

Die Forschungsorganisation FEMTech unseres Nachbarlandes pflegt unter anderem eine umfangreiche Expertinnendatenbank mit 2000 Fachfrauen aus mehr als 130 Themengebieten. Sie vergibt die Auszeichnung »FEMtech Expertin des Monats« und veranstaltet regelmäßig Netzwerktreffen.

Wozu das Ganze? Obwohl sie stetig steigt, ist auch in Österreich die Anzahl der Frauen, die in Forschung und Technologie tätig sind, nach wie vor weit kleiner als die ihrer männliche Kollegen. Das liegt nicht an mangelnden Ausbildungsmöglichkeiten für den weiblichen Nachwuchs hinsichtlich naturwissenschaftlicher oder technischer Studiengänge. Auch der Frauenanteil an wissenschaftlichem Personal im gesamten Forschungs- und Entwicklungssektor weist in Österreich einen Anstieg von 14 Prozent (1998) zu 23 Prozent (2015) auf.

Es liegt daran, dass Frauen nicht in Führungspositionen kommen. Dass man dieses Ungleichgewicht nicht durch die Änderung politischer Rahmenbedingungen allein behebt, ist klar. Es bedarf eines Umdenkens im Kopf. Einen Wandel, der Unternehmenskultur, der mit der Fortschrittlichkeit dieser schönen neuen digitalen Welt mithalten kann. Initiativen wie FEMtech in Österreich leisten da einen Beitrag, weil sie sichtbar machen, was frau kann ohne radikal feministisch daher zu kommen.

Gute Fachkräfte in Forschung und Technologie sind Frauen – wie auch Männer – nämlich nicht wegen ihres Geschlechts, sondern wegen ihrer Ausbildung, ihrer Expertise, ihrem Innovationsgeist, schlicht: Wegen des Beitrags, den sie so täglich leisten.

Von wegen Nische

Durch Frauen in Technologie-Berufen wird endlich auch mehr zu Frauen geforscht und für Frauen entwickelt. Über Hormonchaos, Periodenkram, Lust, Verhütung und Vorsorge spricht man nicht? Oh doch! Vor allem spricht frau nicht nur darüber, sie sorgt auch dafür, dass sich bei vermeintlichen Tabuthemen ganz neue Wege auftun.

Und zwar nicht nur für die Verbesserung der Frauengesundheit, sondern auch, was Aufklärung und Sensibilisierung betrifft. Vollkommen zurecht sehen viele Marktforschungsexperten in FemTech die nächste große Revolution im globalen Gesundheitsmarkt.

Shruthi Parakkal, Transformational Health Senior Consultant beim Marktforschungs- Analyseunternehmen Frost & Sullivan beschreibt dies wie folgt:

» In Zukunft wird es für Unternehmen der Medizintechnik, klinischen Diagnostik als auch Frauengesundheit von höchster Wichtigkeit sein, einen Mehrwert für ihre Kunden zu schaffen, [sie müssen] entweder FemTech-Anwendungen akquirieren, mit spezialisierten Femtech-Unternehmen kooperieren oder ein eigenes Portfolio aufbauen. «

Zyklus-Apps wie Clue oder Ovy, Tampons mit Bluetooth Sensor, ein smarter BH zur Früherkennung von Brustkrebs – im Akkord kommen neue Ideen und Startups auf den Markt, die Frauen dabei helfen sollen, den eigenen Körper besser zu verstehen und einfacher wie smarter – im wahrsten Sinne des Wortes – für ihre Gesundheit zu sorgen.

femtech in BIldern
Quelle: Frost & Sullivan

Und der Markt ist vielversprechend. Konkret schätzt Frost & Sullivan das Potential der Gesundheitsprodukte auf 50 Milliarden US-Dollar bis 2025. FemTech-Expertin Tracy Warren von der Investment-Plattform Astarte Ventures sogar auf 200 Milliarden US-Dollar.

Denn nicht nur die Aufmerksamkeit gegenüber Frauengesundheit wächst. Auch das Interesse und die Kaufkraft für digitale Gesundheitsprodukte nehmen stetig zu. Hier einige Zahlen und Fakten, die zeigen, welchen wirtschaftlichen Einfluss Frauen für das Health-Business haben:

  • 80 Prozent der Ausgaben für die Hausapotheke stammen von Frauen.
  • Berufstätige Frauen geben knapp 30 Prozent mehr pro Einkommen für Gesundheit und Gesundheitsprodukte aus als Männer im gleichen Alter.
  • Obwohl weltweit die Hälfte der Menschen weiblich sind, beruhen die meisten Dosierungsempfehlungen bei Medikamenten auf Testergebnissen männlicher Probanden, weil diese eindeutiger und kostensparender zu erzielen sind. Erst seit wenigen Jahren erfolgt ein Umdenken.
  • Mit 75 Prozent neigen Frauen eher dazu, digitale Tools für ihre Gesundheit zu nutzen als Männer.
  • 80 Prozent der Fachkräfte im Gesundheitswesen sind Frauen. Die meisten sind Krankenschwestern, knapp 40 Prozent arbeiten in leitenden Positionen.

Apropos Sexismus

Onlineshopping und Frauen in einem Satz zu verwenden – das bedient doch Stereotype. Ja und Nein. Geht es um den Umsatz im E-Commerce, steht das männliche- dem weiblichen Geschlecht in nichts nach. Im Gegenteil: Wie die jährliche Erhebung des bevh zeigt, näherte sich der Umsatz, der deutschlandweit nachweislich von Frauen generiert wurde mit 29,08 Milliarden Euro erst 2017 den von Männern getätigten Käufe an (29,38 Milliarden Euro). 2016 sorgten Männer sogar für 1,4 Milliarden Euro mehr E-Commerce-Umsatz.

Und »nur«, weil Frauen mithilfe von Technologie Frauen helfen, heißt das nicht zwangsläufig, dass Männer in puncto FemTech außen vor sind – sie sind privater wie geschäftlicher Partner und viele medizinische Entdeckungen wurden, das zeigt die Geschichte, ja ohnehin eher zufällig gemacht: Man denke nur an Alexander Flemings verschimmelte Pilzkultur 1928, aus der Penicillin hervorging, oder an die Entstehung von Viagra aus der Entwicklung eines Herzmedikaments .

Bei all dem Aufbruch, der in FemTech steckt, ändert sich noch immer eine Tatsache kaum: Frauen sind Frauen unter den Entscheidern in der digitalen Wirtschaft unterrepräsentiert.

Seit 2013 führt iBusiness regelmäßig eine Untersuchung über den Frauenanteil in der Interaktiv-Branche durch. Und die Ergebnisse? Leider nicht ansatzweise so fortschrittlich und schnell wie die allgegenwärtige Digitale Transformation.

Laut der Auswertung der Top 50 des iBusiness-Internetagenturen-Rankings 2017 haben Frauen nur fünf Prozent der Positionen in den Geschäftsführungen inne. Das ist zwar schon mehr als doppelt so viel als 2013 (2,4 Prozent), aber betrachtet man die Entwicklung, wird klar, wie schleppend der Anstieg weiblicher Führungskräfte in der Digitalbranche vorangeht: 2014 waren es 2,8 Prozent und 2015 4,1 Prozent. Auch jenseits der Top 50 kommen derzeit auf 120 Agenturgeschäftsführer lediglich sechs Frauen.

Trotz dieser Zahlen ist Bewegung zu spüren, Bewegung hin zu mehr Bewusstsein für Frauen als wertvolle Fach- und Führungskräfte, mit vielversprechenden Ideen und erfolgreichen Projekten. FemTech ist ein Beispiel dafür, von dem wir im nächsten Jahr sicher noch viel hören und natürlich schreiben werden.

Von der Bewegung zum Trend, vom Trend zur Innovation

Bis dahin zwei Empfehlungen für ein Buch und eine Konferenz:

» The overthrowing of gender stereotypes and promotion of female empowerment. «

So definieren Henry Mason, David Mattin, Maxwell Luthy und Delia Wieser – ja drei! Männer und eine Frau – einen der Trends, die sie in ihrem Buch »Trend Driven Innovation« beschreiben. Die Rede ist von: »Fempowerment«.

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Über Franzi Kunz

Trends gibt es unendlich viele. Jeder hat seine Berechtigung. Doch auf welche Trends kommt es für digitale Unternehmen an. Und vor allem für die, die es noch werden wollen? Franzi geht diesen Fragen nach. Als Digital Business Analyst und Techlead für die Marke Handelskraft spricht sie dafür seit mehr als sechs Jahren mit denen, die es wissen müssen: den Macherinnen und Machern des Digital Business. Ihre Erfahrungen sowie die Ergebnisse ihrer Recherchen bringt Franzi, unter anderem hier auf dem Blog, für euch aufs digitale Papier.