Digitalisierung und Klassik: Von KIs, die wie Beethoven komponieren und Influencern, die Wohnzimmerkonzerte geben Posted on 14.05.202007.11.2024 | by Luise Beyer Montage: dotSource, Bilder: Pexels und ForScore Rebell. Revolutionär. Genie. Drei Wörter, die man mit dem Mann verbindet, der seine Wut über einen verlorenen Groschen ebenso in ein beeindruckendes Klavierstück verwandelt hat wie seine zarte Zuneigung für eine gewisse Elise. Der neun Sinfonien geschrieben hat, von denen auch der letzte, musikferne Europäer zumindest irgendwie ein paar Takte Freude schöner Götterfunken erkennt. Die Rede ist von Ludwig van Beethoven. 2020 ist sein Jahr. Beziehungsweise, es hätte sein Jahr werden sollen. Im Jahre 1770, also vor 250 Jahren in Bonn geboren, waren zehntausende Konzerte weltweit mit seiner Musik geplant. Konzerte, die nun abgesagt oder verschoben wurden. Coronabedingt. Doch nicht zuletzt durch Corona geht die klassische Musik, dieser Kulturzweig, der vermeintlich das Synonym für das Analoge, Gutbetuchte, Hochbetagte ist, neue, digitale Wege. Welche das sind, das schauen wir uns heute mal genauer an. Digitalisierung und Klassik: Intelligente Noten In jedem Sinfonieorchester hat er eine Festanstellung: Der Notenwart. Er sorgt dafür, dass die Profimusiker die richtigen Partituren erhalten, dass das Orchester auch die Rechte für die Noten hat und nicht mit Kopien von zweifelhafter Legalität arbeitet. Jede Menge Papierkram also. Doch seit einigen Jahren verändert sich die Welt der Noten: Was zunächst eher im Fusion-Bereich zwischen Klassik, Jazz und Electro zu beobachten war, findet immer häufiger auch im klassischen Orchesterbereich Anklang: Tablets liegen statt der Papiernoten auf den Pulten. Kein Umblättern mehr, denn es gibt ja das Bluetooth-Fußpedal. Keine Pausentakte zählen, denn das Tablet beziehungsweise die in diesen Zusammenhängen meistbenutzte App ForScore kann ja rechnen. Und, was wohl eher im Amateurbereich relevant sein dürfte: Musiker haben keine Ausreden mehr, sie hätten die Noten vergessen. Musikverlage, die zuvor teilweise seit Jahrhunderten ähnlich arbeiteten, stellt die Entwicklung seit rund zehn Jahren vor neue Herausforderungen. Es gilt, historische Stich- und Papiervorlagen in PDF-Dateien umzuwandeln und für die Programme lesbar zu machen. Die großen Namen unter den Verlagen wie Schott oder Bärenreiter müssen aber auch rechtliche Fragen rund um Lizenzen und die Gefahren illegaler Downloads klären. Doch es reicht der Besuch ihrer Websites, um zu bemerken: Man verschließt sich dem Wandel nicht. Im Gegenteil. Zumal immer mehr Branchengrößen auf die digitalisierte Notenform des Tablets setzen: Der Berliner Pianist Igor Levit, dessen Neueinspielung aller Beethoven-Klaviersonaten nun, da viele Live-Aufnahmen nicht zustande kommen werden, als die Jubiläums-Scheibe schlechthin gelten dürfte, spielt viele Konzerte vom Tablet – oder natürlich komplett auswendig. Auch der britische Ausnahmegeiger Daniel Hope schätzt das Digital Device – bei seinen Soloauftritten ebenso wie in seiner Funktion als Dirigent des renommierten Zürcher Kammerorchesters. Digitalisierung und klassische Influencer Der klassische Influencer ist weiblich, geliftet, zieht eine Entenschnute und interessiert sich für Kosmetik? Nope. Der klassische Influencer ist fast schüchtern, und er spielt brilliant Klavier, aber nicht nur das: Er macht Podcasts zur Musikgeschichte, äußert sich aber seit Jahren auch aktiv und kritisch zu politischen Themen. Igor Levit ist nicht nur das Genie am Flügel, er ist auch modischer Trendsetter. Und er ist ein homo politicus, ein deutscher Staatsbürger mit sowjetisch-jüdischem Hintergrund, der in Talkshows eingeladen wird, weil er sich jeden Tag gegen Rassismus und Antisemitismus engagiert. Im Corona-Lockdown, als auch seine Konzerte gecancelt wurden und noch immer gecancelt sind, spielte er 52 Tage in Folge jeden Abend ein Konzert und gab dazu sachkundige Werkseinführungen. Von zuhause aus. Home-Concert statt Homeoffice. Rund 35.000 Menschen gefiel das und sie hörten zu. Tag für Tag trotz betont unperfekter Akustik. Aber sei’s drum: In der Elbphilharmonie in Hamburg können nur ein Bruchteil dieser Menschen Levit gleichzeitig live lauschen. Auch der bereits erwähnte Star-Geiger Daniel Hope nutzte die Pandemie, um seine Kunst für ein breites Publikum zu streamen. Zusammen mit arte.tv produzierte er während des Lockdowns allabendlich Hochkultur aus dem heimischen Wohnzimmer in Berlin Mitte – zusammen mit dem befreundeten Berliner Pianisten Christoph Israel und jeden Abend einem anderen Gast. Hope@home ging durch die Decke, teils, weil Hope mit seinen Moderationen seinem Nachnamen alle Ehre machte und in mieser Stimmung angenehme Hoffnung verbreitete, teils, weil die Musik- und Gästeauswahl überraschte und schließlich, weil das Format unter dem Hashtag #hope@home ein für den Klassikbetrieb ungewöhnlich großes, unelitäres Echo auslöste. Hope scheute sich nicht, eingesandte Musikgrüße von Claviola-Spielern im Kindergartenalter ebenso – via Tablet – einzuspielen, wie Grüße sämtlicher Virtuosen aus deren Wohn- und Übungsräumen. Digitalisierung und Klassik: KIs sind die neuen Genies Die Digitalisierung verändert die Branche der klassischen Musik seit Jahren. Große Konzerthäuser und Orchester wie etwa die Berliner Philharmoniker streamen mit Unterstützung namhafter Sponsoren ihre Live-Konzerte, um sich jenseits der vollbesetzten Säle ein Publikum zu erschließen und zugleich einem gewissen Bildungsauftrag für die jüngere Generation nachzukommen. Und schließlich: Musik und Mathematik lagen schon immer sehr eng beieinander. Da liegt es ebenfalls nahe, Kompositionsprinzipien computergestützt zu erforschen – und, so frevelhaft das zunächst klingen mag – vielleicht sogar mithilfe von Algorithmen wie ein berühmter Komponist Musik zu schreiben. Denn nicht nur in der Popmusik mit ihrem traurigen Club 27 (dem Todesalter von Amy Winehouse, Kurt Cobain, Jimi Hendrix und weiteren) sind Musiker viel zu früh gestorben: Franz Schubert wurde 31, Mozart 35 Jahre alt. Werke blieben unvollendet. Und genau da setzt auch im Beethoven-Jahr ein KI-gestütztes Projekt an. Beethoven wurde 56 Jahre alt, seine zehnte Sinfonie blieb fragmentarisch. Am Salzburger Karajan-Institut hat nun eine Gruppe von Musik- und Computerwissenschaftlern monatelang eine KI trainiert – mit Beethoven, aber auch dessen Haupteinflussgebern Haydn und Mozart – auf dass diese das Werk komplettiert. Noch während des Beethovenjahres soll das Projekt abgeschlossen werden und – ob nun in einem echten Konzertsaal oder live gestreamt, wird sich noch zeigen – als Uraufführung zu hören sein. Digitalisierung Covid 19.0 Haben wir in den pre-Corona Jahren noch über die Möglichkeiten von KI geschrieben, im Trendbuch 2020 schon darauf hingewiesen, dass die KI-Revolution vorbei ist, sind wir dank Covid-19 nun an einem Punkt, an dem kaum einer mehr zögert oder aufschiebt, sondern macht. Weil er muss und/ oder weil andere Zweifel gerade überwiegen. Die Rolle, die KI in der Digitalisierung der klassischen Musik einnimmt, ist das beste Beispiel dafür. Aber nur eins von vielen. Was KI noch im Stande ist, zu leisten, erfahrt ihr im Whitepaper »Künstliche Intelligenz«: 25 Use-Cases, um mit KI erfolgreich zu sein. Jetzt teilen (7 Bewertung(en), Schnitt: 4,86 von 5)Loading... Categories E-Commerce