Der heilige Gral persönlicher Daten – DSGVO im Test

Überwachungskamera
Quelle: pexels

Das Amazon uns besser kennt als die meisten unserer Freunde, ist eine Binsenweisheit. Präzise Produktvorschläge und personalisierte Werbung sorgen kaum noch für Schnappatmungen vor Irritation und Begeisterung, denn wir setzen diese Features mittlerweile im Onlineshopping voraus.

Doch welchen Preis müssen wir dafür zahlen? Die Bürgerrechtlerin, Publizistin und Ökonomin Katharina Nocun hat Dank DSGVO ihren Datenberg von Amazon erst gezielt angefüttert, dann angefordert und schließlich ordentlich durchforstet – mit verblüffenden Erkenntnissen.

Der steinige Weg an die Daten, trotz DSGVO

Um einen großen Datensatz zu generieren, bestellte Katharina Nocun 14 Monate lang beim Shoppingriesen aus Seattle. In ihrem Warenkorb befanden sich: Mehr als 60 Bücher, Sprühkreide für eine Protestaktion, eine Button-Maschine, ein Hometrainer, mehrere Büroordner, eine Computermaus, Hausschuhe. Danach stellte Nocun ihre Anfrage an die Datenschutzabteilung von Amazon.

Seit der Einführung der europäischen Datenschutz-Grundverordnung im Mai 2018 hat jeder Internetnutzer in Europa das Recht, seine persönlichen Daten bei Webanbietern anzufordern oder zu löschen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Anbieter ein großer Konzern à la Facebook oder Amazon oder eine kleine Praxis für Allgemeinmedizin ist.

Wenn der Verbraucher seine Daten anfordert, muss der Anbieter sie binnen eines Monats liefern. Eigentlich! Denn als Nocun ihre persönlichen Daten bei Amazon abfragen wollte, erinnerte sich der Pionier des Prime plötzlich überhaupt nicht mehr an seine Sofortlieferungstugenden.

Nach wochenlangen E-Mail-Wechseln bekam Katharina irgendwann Post: eine CD-ROM. Und welche Inhalte waren auf diesem schon fast schon fossilen Datenträger gespeichert? Alle selbst einsehbaren Profildaten! Gespeicherte Suchanfragen oder andere spannende Sachen suchte man vergebens.

Da muss mehr sein, sagte sich Nocun. Und schrieb Amazon erneut. Nach weiteren Briefen und gesetzten Deadlines folgte dann endlich eine zweite CD-ROM. Auf ihr fanden sich eine PDF mit Suchabfragen, Reaktionen auf Werbemails und Werbebanner sowie ein Excel-Sheet mit dem Clickstream.

Clickstream – Der heilige Gral der persönlichen Daten

Dieses Sheet umfasste 15.365 Zeilen mit bis zu je 50 Spalten. Jede Nutzerinteraktion mit dazugehörigen Attributen wurde hier dokumentiert. In den 196 Tagen, an denen Katharina aktiv auf amazon.de war, wurden im Schnitt je 78 Einträge verfasst. Es wurden Merkmale wie unvollständige IP-Adressen, sämtliche Aktionen wie Bildvergrößerungen, Uhrzeiten oder Ursprungswebadressen gespeichert. Da war er, der Datenberg!

Ich weiß, wo du wohnst!

Doch welche Rückschlüsse lassen sich aus diesen Daten ziehen? Katharina Nocun bat eine Berliner Datenanalystin, die unter dem Pseudonym Letty agiert, aus dem Datenberg der CD-Rom Informationen abzuleiten: Neben den gekauften Artikeln und damit logischen Schlussfolgerungen zu Interessen der Person, konnten problemlos Standortdaten ausgewertet werden.

Die meiste Zeit wird der Verbraucher wahrscheinlich von zuhause aus auf den Amazon-Seiten surfen. Am Arbeitsplatz vermutlich am zweithäufigsten und dann noch ab und zu bei der Familie in der Heimat.

Über einmalige Sessions lassen sich Urlaubsorte ableiten. Daten aus vorher besuchten Webseiten verraten weitere Details zu Interessen und Vorlieben, sowie eventuell zum politischen Mindset des Nutzers. Häufig konsumierte Medien und Buchinhalte geben Aufschluss zur Mentalität des Users. Anhand Katharina Nocuns Daten konnte Letty zudem deren Schlaf-Wach-Rhythmus rekonstruieren.

Über solche Daten lassen sich die Verbraucher schnell in Schubladen stecken. Sieht man sich auf Amazon nach Feinwaagen um, erhält man so denn einen Kaufvorschlag für kleine dursichtige Tüten.

Amazon Suchanfrage
Amazon

Ohne Daten, kein Komfort

Machen wir uns nichts vor: Das Prozedere, alle Daten zu speichern, die gespeichert werden können, findet längst bei allen großen, aber zunehmend auch bei kleinen Webshops Anwendung.

Sie haben viel zum Erfolg des Onlineshopping und zu unserem persönlichen Komfort beigetragen. Treffende Vorhersagen zum Kaufverhalten der Verbraucher sparen Logistikkosten auf Seiten der Anbieter.

Der Kunde weiß die Vorzüge optimierter Produktsuche und attraktiver Angebots-Bundle zu schätzen. Anbieter ohne diese Features verlieren Marktanteile und somit bares Geld.

Denn sind wir ehrlich, ausschließlich im stationären Einzelhandel zu kaufen ist mühsam, sich durch Proxy Server oder zumindest Blocker und Private Browser Modes vor Tracking zu schützen nicht ganz voraussetzungslos.

Plus: Ohne Vertrauen in die Internetwelt wäre es ja gar nicht erst möglich gewesen, die smarten Vorteile auf Basis der Nutzerdaten zu entwickeln.

Doch apropos smart: Vielleicht kommen die Algorithmen in Zukunft mit Small Data aus und es wird möglich, einen intelligenten Mittelweg einzuschlagen zwischen Datenverschwendung und Skepsis.

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