Früher oder später: Usability-Tests für ganzheitliche UX- und Conversion-Optimierung

Landkarte, Kompass und Kamera liegen auf einem Tisch.
Quelle: Nataliya Vaitkevich | Pexels

Traumjob: Reisetester. Ferne Länder, die Metropolen und geheimen Traumspots dieser Erde erleben und das auch noch gratis. Das wär’s doch, oder? Bei allem Sonnenschein, den dieser Beruf (oft ja im wahrsten Sinne des Wortes) mit sich bringt, gehört auch jede Menge Arbeit, Vor- und Nachbereitung zu den Aufgaben eines Reisetesters. Schließlich soll er als Repräsentant »echter Urlauber« nicht nur neue Ziele entdecken, sondern vor allem Verbesserungspotentiale für Reisepläne, Hotelangebote und Co. aufdecken. Ähnlich läuft auch der Prozess ab, der aus der Methode: Usability-Test hervorgeht. Was diese beinhaltet und welche Potentiale sie für die UX- und Conversion-Optimierung birgt, zeigen wir euch heute im vierten Teil unserer gleichnamigen Handelskraft-Artikelreihe.

Usability-Test – der Name ist Programm

Wie der Name schon sagt, dienen Usability-Tests zur Evaluierung der Usability eines interaktiven Systems. Repräsentative Benutzer aus der Zielgruppe führen dabei bestimmte Aufgaben mit dem interaktiven System aus, um Rückschlüsse auf die drei Messkriterien der Usability: Effizienz, Effektivität und Zufriedenheit zu ermöglichen.

Natürlich, ungebunden, iterativ

Die Bedingungen bei einem Usability-Test sollten optimalerweise so nah wie möglich am realen Nutzungskontext sein. So ist beispielsweise auch die Durchführung von Usability-Tests in öffentlichen Räumen denkbar, wenn die Umgebung die Nutzungssituation maßgeblich beeinflusst. Apropos Reise: bestes Beispiel hierfür sind Ticketautomaten von öffentlichen Verkehrsmitteln.

In der Regel finden Usability-Tests aber in »Laboren« statt. Keine Sorge, hierbei handelt es sich nicht um sterile, medizinische Räume. Mehr zu den lokalen Gegebenheiten und den verschiedenen Möglichkeiten, Usability-Tests durchzuführen, erfahrt ihr schon im nächsten Artikel.

Um einen Großteil der Schwachstellen aufzudecken, reicht es laut Studien von Nielsen aus, fünf bis sieben Testprobanden zu rekrutieren. So vermeidet man, dass das Verhältnis zu neu aufgedeckten Problemen im Vergleich zur steigenden Anzahl der Teilnehmer stagniert. Es empfiehlt sich hierbei, iterativ vorzugehen, sprich den Usability-Test mit den Probanden am entwickelten Prototyp durchzuführen, diesen wiederum entsprechend der Erkenntnisse anzupassen, bevor man den nächsten Test durchführt. Usability-Tests sind also in verschiedenen Stadien des Entwicklungsprozesses möglich, um den Prototyp zu verbessern oder aber bewerten zu können.

In den Usability-Testsitzungen versucht der jeweilige Proband repräsentative Aufgaben mit dem interaktiven System oder dessen Prototypen zu lösen. Mit Hilfe realistischer Szenen und Aufgabenstellungen wird der Proband nicht nur durch die Session geführt, sondern via Briefing über einen Moderator auch dazu ermutigt, laut zu denken (Thinking-Aloud-Methode).

Test, Test, Test

Quelle: dotSource
Quelle: dotSource

In Pre-Session-Interviews – also vor Erledigung der Testaufgabe werden den Probanden Fragen bezüglich seines Hintergrunds gestellt, um Informationen zu bereits gemachten Erfahrungen mit dem interaktiven System oder ähnlichen Systemen zu ermitteln.

Während der Session erledigen die Probanden die gestellten Aufgaben. Der Moderator greift hier natürlich nur in Notfällen ein, um die Testergebnisse nicht zu verfälschen. Die Probanden werden dabei beobachtet und in der Regel auch via Audio- und Videomitschnitt aufgezeichnet, um eine Dokumentation ihrer Kommentare und Gesichtsausdrücke erstellen zu können.

Apropos Mimik. An diesem Punkt des Usability-Tests ist Eye-Tracking eine vielversprechende Methode, um Optimierungspotentiale hinsichtlich Platzierung, Ausprägung und Design verschiedener Komponenten aufzudecken. Beim Eye-Tracking werden die Blickverläufe eines Probanden während der Aufgabendurchführung aufgezeichnet. Mittels der Erkenntnisse zu Reihenfolge und Dauer des Augenmerks kann geschlussfolgert werden, ob Elemente eines interaktiven Systems wirklich aufmerksam betrachtet -oder komplett übersehen werden.

Post-Session-Interviews dienen wiederum dazu, Fragen hinsichtlich der User Experience des interaktiven Systems zu beantworten. Meinungen und Äußerungen in diesen Anschluss-Interviews helfen also dabei, Ursachen für Usability Probleme zu erkennen und diese bewerten zu können.

War es früher noch üblich, von sogenannten harten Messgrößen wie Zeit- und Fehlerdaten auszugehen, basieren die Erhebungen von heute eher auf weichen Kriterien der Meinungs- und Verhaltensebenen.

Mehr als nur EIN Test

Auch ein Reisetester startet nicht »out of the blue« ins nächste Abenteuer. Hinter dem Entdecker und Tester stehen meist große Reise- oder Hotelanbieter, die ihm einen prototypischen Reiseplan an die Hand geben, ihn vor der Testreise briefen, sowie Pre- und Post-Reise-Interviews durchführen. Der Reisetester wird für üblich natürlich nicht in Person von einem Beobachter begleitet. Im Sinne eines Usability-Tests würde er aber seine Gedanken und Erlebnisse im Verlauf der Reise per Kameraaufnahme festhalten.

Ähnlich wie die Probanden in Usability-Tests, steht also auch der Reisetester vor Aufgaben, die er innerhalb seines prototypisch erstellten Reiseplans erledigen, respektive beantworten muss. Die Auswertungen zeigen dann, ob dieser Plan nützlich und/oder verbesserungswürdig ist. Eine Empfehlung für getimte Tagesausflüge oder Food-Hotspots gibt es schließlich nur, wenn auch der Weg dahin machbar und die zeitliche Abfolge logisch durchdacht ist.

Effizienz, Effektivität und Zufriedenheit stehen als Bewertungskriterien somit auf beiden Seiten der Test-Szenarien an oberster Stelle. Schlagen wir den Bogen zurück zum Usability-Test für interaktive Systeme, können folgende Fragen als Grundlage der Evaluierung dienen:

Effizienz und Effektivität

  • Ist das interaktive System intuitiv bedienbar?
  • Fördert das interaktive System die Erlernbarkeit seitens des Nutzers?
  • Reagiert das interaktive System konform zu den Erwartungen, die der Nutzer mitbringt?
  • Sind Barrieren vorhanden, die den kognitiven Aufwand des Nutzers bei der Aufgabenbewältigung unnötig erhöhen?
  • Erreicht der Nutzer seine Ziele mit einem angemessenen Aufwand-Nutzen-Verhältnis?
  • Oder gibt es gar Stellen, an denen der Nutzer ohne Hilfe nicht weiterkommt?

Zufriedenheit

  • Empfindet der Nutzer die Benutzeroberfläche des interaktiven Systems als ansprechend?
  • Hat der Nutzer das Gefühl, dass er dem Unternehmen hinter dem System trauen kann, wenn es z.B. um die Verarbeitung seiner Daten geht?
  • Verlässt der Nutzer die Website mit einem positiven Gefühl?
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Quelle: pixabay

Der Teufel steckt im Detail – How Tos & Not Tos

How To

Während eines Usability-Tests sollte sich auf ein spezifisches Thema konzentriert werden. Umso wichtiger ist auch eine klare, verständliche Formulierung realistischer Aufgaben, die wiederum auf echten und kontext-bezogenen Szenarien beruhen, damit sich der Nutzer bestmöglich in die Situation hineinversetzen kann.

Nicht alles ist schlecht. Also gerne auch positive Usability-Befunde hervorheben. Damit vermeidet man nicht nur, dass Befunde aus Unwissenheit, wenn auch unbeabsichtigt, angepasst werden, sondern trägt natürlich auch zur positiven Stimmung im Team und Einstellung zum Bericht bei.

Not To

Aufgabenstellungen sollten natürlich keine Lösungen vorwegnehmen. Also Formulierungen wie: „Klicken Sie in das Eingabefeld der Suche, um nach roten Schuhen zu suchen.“ vermeiden.

Das vielleicht zunächst naheliegendste, nämlich Probanden aus den eigenen Reihen zu rekrutieren, ist nicht zu empfehlen. Inspirationsquelle: Ja. Zielgruppe: Nein.

Früher oder später 2.0

Wie der beauftragte Reisetester bieten auch Usability-Tests die Möglichkeit, Angebote zu testen und damit Verbesserungspotentiale frühzeitig zu erkennen. Gemein ist den beiden Test-Szenarien zudem die Kostenfrage. Denn nicht nur für die Reiseanbieter und Hotels ist dieser Weg die kostengünstigere Variante, auch für die UX- und Conversion-Optimierung lautet das Prinzip, je früher, desto besser.

Je weiter der Entwicklungsprozess fortgeschritten ist, desto mehr kostet es, Probleme, die bei der Nutzung interaktiver Systeme entstehen, zu beheben. Auch die Entwicklung von Features, die sich später als unnötig herausstellen, kann so vermieden werden.

Ob Hotel- und Reiseanbieter oder Stakeholder – die Testmethode eignet sich besonders gut, um den Fokus auf den Reisenden, respektive den Nutzer zu lenken. Probanden als Außenstehende und konkrete Beispiele von Problemen, die bei der Durchführung der Tests entstehen, sorgen für einen anderen und damit frischen Blick.

Wie auch die bereits beschriebenen Methoden dieser Artikel-Reihe: UX-Audit, Fokusgruppe, Leitfaden-Interview und Contextual Inquiry eignet sich der Usability Test also als proaktive Methode für hohe Conversion und gute User Experience von Anfang an.

Aber auch in bestehenden und weiter fortgeschrittenen interaktiven Angeboten sind Usability-Tests von Vorteil, um Nutzungsbarrieren im Rahmen der UX- und Conversion-Optimierung aufzudecken.

Oft wird eben erst deutlich, was nicht optimal läuft, wenn es schon eine Weile läuft. Das gilt für Hotel- und Reiseangebote im Speziellen, wie auch für interaktive Systeme im Allgemeinen.

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